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Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht Page 4
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»Sie hätten den Anwalt meiner Familie anrufen können. Er weiß, wie man mich erreichen kann.«
»Verraten Sie mir eins: Wenn ich ihn angerufen hätte, wären Sie dann jetzt hier?«
Ich recke das Kinn ein klein wenig höher, antworte jedoch nicht. Wir wissen beide, dass abgesehen von einer gerichtlichen Vorladung mich nichts dazu gebracht hätte, einen Fuß in diese Stadt zu setzen.
»Das dachte ich mir.« Sie schürzt die Lippen. »Felicity, ich bin nicht Ihre Feindin.«
»Tja, Sie sind ganz sicher nicht meine Freundin. Freundinnen verklagen sich nämlich nicht gegenseitig.«
»Das stimmt – ich bin nicht Ihre Freundin. Praktisch bin ich, in Ermangelung einer treffenderen Bezeichnung, Ihre Chefin. Und auch wenn ich Sie immer gemocht habe, mag ich meinen Job ebenso sehr.« Sie beugt sich vor, und ihre Stimme klingt ausgesprochen angespannt. »Was ich jedoch nicht mag, ist, Versprechen nicht einzuhalten, die ich meinen Vorgesetzten gegeben habe. Ist Ihnen klar, in welche Situation Sie mich gebracht haben, als Sie gegangen sind? Ist Ihnen klar, welchen Schaden Sie angerichtet haben? Nicht nur bei der Band oder bei sich selbst …« Ihr Blick wandert kurz zu meinem blonden Haar. Dann betrachtet sie mein finsteres Gesicht und sucht nach Hinweisen auf eine Frau, die nicht mehr existiert.
»… Seit über zehn Jahren hat keine so erfolgreiche Band mehr bei Route 66 unter Vertrag gestanden. Und Sie haben dafür gesorgt, dass ich meinen Vorgesetzten erklären musste, warum diese Band nicht auf Welttournee gehen würde, um das Geld für dieses mit Dreifach-Platin ausgezeichnete Album, das sie finanziert hatten, wieder reinzuholen.«
»Das war mir …« Ich verstumme, weil Scham in mir aufsteigt, als ihre Worte den wütenden Nebel durchdringen, der mich umgibt, seit mir ihr Lakai die Klage überreicht hat. Als ich schließlich meine Sprache wiederfinde, ist mein Tonfall deutlich weniger feindselig. »Das war mir nicht klar. Okay? Als ich ging … war mir nicht klar, dass es Auswirkungen auf andere Leute haben würde. Ich habe nicht über die Konsequenzen nachgedacht. Ich wollte nur …« Ich schaue ihr in die Augen und flehe sie um ein Quäntchen Verständnis an. »Francesca, ich musste hier weg. Sie verstehen nicht …«
»Nein. Ich verstehe es tatsächlich nicht. Vielleicht liegt das daran, dass Sie sich nie die Zeit genommen haben, es mir zu erklären.«
»Ich entschuldige mich. In Ordnung? Ich entschuldige mich dafür, dass ich ohne ein Wort abgehauen bin.« Ich lege meine nackten Beine über Kreuz und zupfe gedankenverloren an einem losen Faden am Ärmel meines graugrünen Sommerkleids herum. »Was wollen Sie denn noch von mir? Abgesehen von all dem Geld, das ich besitze, und einem langwierigen Rechtsstreit wegen des Vertragsbruchs, den ich begangen habe?«
»Seien Sie nicht so dramatisch. Ich brauchte nur eine Möglichkeit, Sie nach Los Angeles zurückzuholen – ich habe nicht vor, Sie zu verklagen, Felicity, und ich will es auch gar nicht.«
»Was wollen Sie dann?«
»Nicht mehr als das, was Sie uns versprochen haben, als Sie den Vertrag unterzeichnet haben.«
Ich schaue sie an und beiße trotzig die Zähne zusammen. Ich stelle keine Frage, denn ich weiß bereits, was sie als Nächstes sagen wird.
»Die Tournee.« Sie faltet die Hände auf dem Schoß. »Ich will, dass Sie mit Ryder auf Tournee gehen.«
Als ich seinen Namen höre, zucke ich zusammen. Falls Francesca meine Reaktion bemerkt, ignoriert sie sie.
»Sechs Monate. Dreißig Städte. Darauf haben wir uns vor zwei Jahren geeinigt.«
»Vor zwei Jahren waren die Umstände noch anders.«
»Das gilt auch für Ihr Haar.«
Ich kneife die Augen zusammen. »War das ein Witz?«
Sie verzieht die Lippen. »Lediglich eine Feststellung.«
»Stellen Sie fest, was immer Sie wollen. Sie werden meine Meinung nicht ändern. Ich werde nicht auf diese Tournee gehen.«
»Dann lassen Sie uns keine andere Wahl, als rechtliche Schritte gegen Sie einzuleiten.« Ihr Blick wird ein wenig sanfter. »Felicity, wenn die Entscheidung bei mir läge, würde ich Sie gehen lassen. Aber mir sind die Hände gebunden. Diese Anweisungen kommen von ganz oben. Vom Chef meines Chefs meines Chefs. Ich kann nichts tun.«
Ich presse angespannt die Kiefer zusammen.
»Haben Sie ihn gesehen?«, fragt sie nach einem Augenblick angespannten Schweigens. »Haben Sie überhaupt mal mit ihm gesprochen, seit Sie gegangen sind?«
»Nein.« Ich zwinge mir das Wort über die Lippen, als wäre es Gift.
»Also wissen Sie gar nicht, dass er …«
»Seien Sie still.« Ich hebe eine Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. »Ich weiß gar nichts über Ryder Woods und ich will auch nichts über ihn wissen.«
»Aber …«
»Francesca. Ich meine es ernst. Wenn Sie noch ein Wort über ihn verlieren, werde ich diesen Raum verlassen.«
Sie schließt den Mund, und wieder legt sich frostiges Schweigen über uns. Ich kann sehen, dass sie wütend auf mich ist, aber das ist mir egal. Nachdem ich Los Angeles verlassen hatte, beging ich den Fehler, zu oft in die Klatschzeitschriften zu schauen. Dort fand ich alles, was ich jemals über Ryders Aktivitäten nach meinem Verschwinden aus der Stadt wissen musste – die Verhaftungen wegen Trunkenheit am Steuer, die Anklagen wegen Drogenmissbrauchs, die Gerichtstermine. Die Frauen, die an seinen Armen hingen wie Trophäen, während er mit glasigen Augen von einem Club zum nächsten stolperte, immer in Begleitung seiner angesagten, berühmten neuen Freunde.
Jeder Artikel, den ich las, jedes Foto, das ich sah, jede Schlagzeile, die mir entgegenschlug, war nur ein weiterer bestätigender Nagel im Sarg meiner Entscheidungen.
Es war richtig zu gehen.
Ich musste ihn verlassen.
Ich hatte keine andere Wahl.
»Wissen Sie, ich habe Sie gar nicht so stur in Erinnerung.« Francesca legt den Kopf schief. »Oder so … kaltherzig. Damals waren Sie nicht so.«
»Sie meinen damals, als ich achtzehn und naiv genug war, einer Plattenfirma, der ihr eigener Profit wichtiger ist als das Glück ihrer Künstler, meine Zukunft zu überschreiben?« Ich schnaube. »Menschen ändern sich.«
»Das ist wohl wahr«, sagt sie nachdenklich. In ihren Augen blitzt etwas auf, das ich nicht entziffern kann.
Ich stoße einen langen Atemzug aus und starre die Frau an, die ich einst, wenn schon nicht als Freundin, so doch zumindest als Verbündete angesehen hatte. So gern ich sie auch hassen und ihr die Schuld für all das geben würde … bringe ich es einfach nicht fertig. Nichts davon ist ihre Schuld. Es ist allein meine. Es ist mein Desaster. Und ich habe es mir selbst eingebrockt.
Trotz meiner Einwände, trotz meines Widerstands … wissen wir beide, dass es nur ein sinnloses Aufbäumen ist. Ich habe keine andere Wahl, als auf diese Tournee zu gehen. Eine Tatsache, die ich bereits in dem Moment akzeptierte, als ich nach Jerrys Telefon griff und mein Flugziel von Boston auf Los Angeles umbuchte.
Aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass ich die Bedingungen dieses Dilemmas nicht zu meinen Gunsten aushandeln kann …
»Vier Monate«, sage ich schließlich, und sie zieht die Augebrauen hoch. »Vier Monate, nicht sechs. Keine Auftritte in Übersee. Außerdem verlange ich während der Reise eine getrennte Unterbringung, damit ich nur mit …« Ich schlucke heftig. »… mit der Band zu tun habe, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt, also dann, wenn wir auf der Bühne stehen oder im Studio proben. Wenn Sie mir diese Zusage machen können, werde ich mich auf diese Tournee einlassen. Wenn nicht … können Sie meinen Anwalt anrufen und sich stattdessen mit ihm auseinandersetzen.« Ich beuge mich vor und kneife die Augen zusammen in der Hoffnung, dass es meiner Miene etwas Bedrohliches verleiht. »In Anbetracht seiner Erfolgsquote würde ich das nicht empfehlen.«
Das ist natürlich ein Bluff. Das firmeneigene Anwaltsteam von Route 66 könnte einen gutmütigen Familienanwalt wie Jerry Perry schneller vernichten als ein Baseballschläger eine Melone. Doch Francesca scheint mich ernst genug zu nehmen, dass ihre Miene
sich verfinstert, als sie über mein Angebot nachdenkt.
»Vier Monate …«, murmelt sie.
Ich nicke abgehackt.
»Wir müssten den Terminplan straffen. Die komplette Tourneeroute neu planen. Vielleicht sogar mehrere kleinere Städte von der Liste streichen …« Sie wiegt nachdenklich den Kopf hin und her. »Sie werden mehrere Auftritte pro Woche absolvieren. Tourneen sind schon anstrengend genug, wenn man ausreichend Schlaf bekommt und seine Stimmbänder nicht bis an die Grenzen des Belastbaren strapaziert. Der Zeitrahmen, über den Sie hier reden … wird Ihrem Körper einiges abverlangen – und Ihrem Verstand sogar noch mehr. Ehrlich gesagt wird es die Hölle sein.«
»Es wird ohnehin die Hölle sein.« Meine Stimme klingt hohl. »Aber für mein Empfinden sind vier Monate im Fegefeuer besser als sechs.«
»Ich werde mit meinem Chef darüber sprechen müssen. Und er mit seinem Chef. Und er wiederum vermutlich mit seinem. Aber … es besteht die Möglichkeit, dass wir das hinbekommen.«
»Ich dachte, Francesca Foster bekommt alles hin.«
»In einem gewissen Rahmen.«
Ich greife nach einem schweren Füller, der auf ihrem Schreibtisch liegt und vermutlich mehr als mein ganzes Outfit gekostet hat, und schreibe etwas auf einen Notizblock. »Das sind der Name und die Telefonnummer des Hotels, in dem ich wohne. Fragen Sie an der Rezeption nach Joy Winters, dann wird man Sie zu mir durchstellen.« Ich schaue sie mit grimmiger Miene an. »Ich bleibe nur diese eine Nacht hier. Wenn ich bis morgen nichts von Ihnen gehört habe, fliege ich wieder nach Hause. Und ich werde erst dann wieder hier sein, wenn Ihre Anwälte ihre Hintern bis vor meine Haustür bewegen und mich mit Gewalt zurück nach L. A. zerren.«
»Das wird nicht nötig sein.« Francesca verzieht den Mund. »Ich werde noch heute eine Antwort für Sie haben.«
»Fein. Dann sind wir hier fertig.« Ich stehe auf und mache mich auf den Weg zur Tür.
»Felicity, warten Sie.«
Ich bleibe im Türrahmen stehen, drehe mich aber nicht um.
»Wenn ich das hinbekomme … Wenn ich meine Chefs davon überzeugen kann, Ihren Forderungen zuzustimmen, und es mir gelingt, innerhalb kürzester Zeit eine Tournee auf die Beine zu stellen …« Sie atmet scharf ein. »Ihnen ist schon klar, dass Sie ihn sehen müssen, oder? Dass Sie mit ihm singen müssen? Selbst wenn Sie Ihren eigenen Tourbus bekommen und wir Ihnen in den Hotels getrennte Zimmer buchen … wird ein gewisser Umgang miteinander nicht zu vermeiden sein.«
Ich kneife die Augen zu. Ich will noch nicht über diesen Teil nachdenken – den Ryder-Teil. Ich kann das einfach nicht. Ich schaffe es ja kaum, die Tatsache zu verarbeiten, dass ich zugestimmt habe, auf diese verflixte Tournee zu gehen. Da ist es wirklich zu viel verlangt, dass ich auch noch darüber nachdenken soll, mit wem ich auf diese Tournee gehen werde. Allein der Gedanke daran, wie es sein wird, ihn wiederzusehen … wieder Musik mit ihm zu machen …
»Felicity? Hören Sie mir zu?« Sie räuspert sich verlegen. »Ihre Fans wollen Wildwood sehen. Das schließt Ryder mit ein, sowohl auf als auch jenseits der Bühne. Egal was für private Probleme Sie miteinander haben, die Welt will Sie zusammen sehen.«
Als ich spreche, erkenne ich meine Stimme kaum wieder. »Ich weiß.«
»Und … das ist für Sie in Ordnung?«
Ich werfe einen Blick über meine Schulter und schaue sie direkt an. Was auch immer sie in meinem Gesicht sieht, sorgt dafür, dass sie blass wird.
»Bei mir ist seit zwei Jahren nichts mehr in Ordnung gewesen, Francesca. Heute wird nicht der Tag sein, an dem ich etwas daran ändere.«
Ich warte ihre Reaktion nicht ab, sondern gehe einfach zur Tür hinaus.
Ich habe meine Augen hinter einer riesigen Sonnenbrille verborgen und ziehe mir die Krempe der Kappe tiefer ins Gesicht, während ich über die Strandpromenade gehe. Die Lichter des Piers von Santa Monica funkeln neongrell in der Ferne, und das Riesenrad dreht langsame Runden über dem Wasser, während das Zwielicht nach und nach der Dunkelheit weicht. Als es zu dunkel wird, um noch etwas zu sehen, stecke ich die Sonnenbrille in meine Tasche und hoffe inständig, dass mich niemand erkennt.
Das hier könnten durchaus meine letzten Stunden in der Anonymität sein. Ich genieße sie, denn ich weiß, dass jede Sekunde Freiheit kostbar ist. Sobald Francesca die Tournee organisiert – was sie tun wird, weil es keine Herausforderung gibt, die diese Frau nicht meistert –, wird dieses Leben, vor dem ich so lange davongelaufen bin, wieder von vorne anfangen. Die Pressetermine und die Interviews. Die späten Nächte und die kreischenden Fans und die Musik.
Oh Gott, die Musik.
Ich vermisse sie wie einen amputierten Körperteil, wie ein lebenswichtiges Organ, das aus meinem Körper entfernt wurde, um mich unvollkommen und voller Schmerzen zurückzulassen. Ich habe seit Ewigkeiten nicht mehr gespielt. Ich habe seit Ewigkeiten keine Gitarrensaiten mehr unter meinen Fingern gespürt. Mein Mund hat seit Ewigkeiten nicht mehr diese Melodien über meine Lippen kommen lassen, die ich einst für ihn schrieb, oder diese Noten gesungen, die mir nicht mehr aus dem Kopf gehen wollten.
Mit der Musik aufzuhören war keine bewusst getroffene Entscheidung – es war eine Überlebensstrategie. Denn jedes Mal, wenn ich in letzter Zeit versuchte zu singen, jedes Mal wenn ich einen Akkord auch nur anschlug, brach eine Welle aus Erinnerungen über mich herein und drohte, mich in die Tiefen der Verzweiflung hinabzuziehen. Also steht meine Gitarre nun schon seit Monaten in einem Schrank und setzt Staub an wie ein übrig gebliebenes Requisit von einer Rolle, die ich nicht länger spielen kann.
Ich schlendere für eine ganze Weile über die Strandpromenade, bevor ich in mein Hotel zurückkehre, und genieße die Aussicht. Als ich das letzte Mal hier war, hasste ich L. A. beinahe aus Prinzip, hauptsächlich deswegen, weil es nicht Nashville war. Es war zu groß, zu grell. Es war bis zum Rand mit eitlen, materialistischen Menschen vollgestopft, die eitle und materialistische Karrieren verfolgen. Aber als ich heute Abend durch die Dunkelheit wandere und mich unbemerkt durch die lebhafte Menge bewege, erkenne ich eine Seite, die ich beim letzten Mal nicht gesehen habe. Eine Seite, die ich entweder nicht sehen konnte oder nicht sehen wollte.
In diesem Wahnsinn, der hier herrscht, liegt eine gewisse Schönheit. In den wilden Wellen, die sich am Strand brechen, der so anders ist als die felsigen Küsten des Atlantiks. In den schlanken Palmen, die den Weg säumen wie ewige Soldaten, die die Tore des alten Hollywoods bewachen. In den ständigen Menschenströmen aus Touristen und Ortsansässigen, die Essen von Straßenhändlern kaufen, die ihre Ware lauthals feilbieten, oder Läden betreten und sie vollbepackt wieder verlassen.
Ich lasse mich treiben und atme tief die salzige Sommerluft ein. Ich bin nur eine weitere Fremde in einem Meer aus Rollschuhfahrern und Speedwalkern, Müttern mit Kinderwagen und munteren Teenagern mit ihren Handys. Ich kann nicht leugnen, dass diese Stadt einen gewissen Rausch auslöst, wie ich ihn sonst noch nirgends erlebt habe. Nicht mal in meinem geliebten Nashville.
Nach der ruhigen Abgeschiedenheit in meinem Haus an der Ostküste sollte mich das eigentlich überwältigen. Es sollte ein Schock für mich sein. Aber etwas in mir scheint zu erwachen, während ich über die Promenade laufe und dabei voll und ganz in der Lebhaftigkeit aufgehe, die die Luft um mich herum in elektrische Schwingungen zu versetzen scheint. Etwas, das sehr, sehr lange in mir geschlummert hat.
Vielleicht hatte Francesca recht.
Vielleicht habe ich mich wirklich verändert.
Mein ganzes Leben lang habe ich mich nach Sicherheit gesehnt. Nach Stabilität. Nach einer Kindheit wie meiner … dachte ich, dass es besser wäre, Menschen aus dem Weg zu gehen und um mich herum hohe Mauern zu errichten, damit sie niemals jemand bezwingen könnte. Denn für mich sind Sicherheit und Einsamkeit immer unabdingbar miteinander verbunden.
Und doch … bin ich in den letzten zwei Jahren ausschließlich allein gewesen. In meinem neuen Leben der stillen Anonymität, das ich als Joy Winters geführt habe, bin ich ausschließlich sicher gewesen.
Unte
r dem Radar.
Unerreichbar. Unantastbar.
Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich mich vor niemandem außer mir selbst verantworten. Ich zucke nicht mehr vor Angst zusammen, wenn eine Tür zuknallt. Mein Puls rast nicht mehr bei der Vorstellung einer kleinen weißen Pille mit entsetzlichen Folgen.
Ich bin absolut und vollkommen sicher.
Und absolut und vollkommen allein.
Genau das habe ich immer gewollt. Ich habe Jahre damit verbracht, darauf zu hoffen, dafür zu leben, davon zu träumen.
Also … warum fühlt es sich so leer an?
Warum habe ich so viele Nächte damit verbracht, auf meiner Veranda zu sitzen und zu den Sternen hinaufzublicken, um am Sommerhimmel nach dem Skorpion zu suchen? Warum kondensierte mein Atem in der kalten Winterluft, während ich in der Dunkelheit stand, um an diesen fernen himmlischen Horizonten nach Orion Ausschau zu halten?
Ihre unablässige Verfolgung, bei der sie sich nie begegnen.
Sie sind nie gleichzeitig am Himmel zu sehen.
Plötzlich sind meine Augen ganz glasig, und ich biege in die Straße ein, über die ich zurück zu meinem Hotel gelange.
Vielleicht lag ich falsch.
Vielleicht wird vollkommene Sicherheit auch überschätzt, wenn man dabei nur sein eigenes Licht hat, um den dunklen Himmel um einen herum zu erhellen.
Ich bin gerade mal drei Minuten wieder in meinem Hotelzimmer, als das Telefon klingelt. Ich bereite mich innerlich auf die Worte vor, von denen ich weiß, dass sie kommen werden, sobald ich den Hörer an mein Ohr halte und mich melde.
»Sie haben grünes Licht gegeben«, sagt Francesca und klingt ausgesprochen selbstzufrieden. »Vier Monate. Fünfundzwanzig Städte.«
Ich schweige.
»Felicity?«, fragt sie.