Faded Duet 2 - Faded - Wenn alles stillsteht Read online




  Inhalt

  Titel

  Zu diesem Buch

  Widmung

  1. Kapitel

  2. Kapitel

  3. Kapitel

  4. Kapitel

  5. Kapitel

  6. Kapitel

  7. Kapitel

  8. Kapitel

  9. Kapitel

  10. Kapitel

  11. Kapitel

  12. Kapitel

  13. Kapitel

  14. Kapitel

  15. Kapitel

  16. Kapitel

  17. Kapitel

  18. Kapitel

  19. Kapitel

  20. Kapitel

  21. Kapitel

  22. Kapitel

  23. Kapitel

  24. Kapitel

  25. Kapitel

  26. Kapitel

  27. Kapitel

  28. Kapitel

  29. Kapitel

  30. Kapitel

  31. Kapitel

  32. Kapitel

  Danksagung

  Playlist

  Komplette Liedtexte

  Die Autorin

  Die Romane von Julie Johnson bei LYX

  Impressum

  JULIE JOHNSON

  Faded

  WENN ALLES STILLSTEHT

  Roman

  Ins Deutsche übertragen

  von Anika Klüver

  Zu diesem Buch

  Zwei Jahre ist es her, dass Felicity Wilde ihre Band Wild Wood kurz vor der großen Tournee im Stich ließ und abtauchte. Zwei Jahre, seit sie die Liebe ihres Lebens, den Rockstar Ryder Woods, ohne ein Wort des Abschieds verlassen hat. Zwei Jahre, seit ihr Herz brach und immer noch in tausend Scherben liegt. In dieser Zeit hat sie sich versteckt gehalten und ein ruhiges Leben geführt. Ohne Musik, ohne ihre Freunde – und ohne Ryder. Doch die Gefühle, die er in ihr auslöst, hat sie nie vergessen können. Genauso wenig wie seine gebrochenen Versprechen, die sie irgendwann nicht mehr ertragen konnte. Das Leben in L. A. und die glückliche Zeit mit Ryder kommen ihr schon wie ein langsam verblassender Traum vor. Aber nun ist es ihrer Plattenfirma gelungen, sie zu finden, und ihre Managerin fordert die Einhaltung des Vertrags ein: Felicity muss mit ihrer Band auf Tournee gehen, oder sie wird alles verlieren, was sie auf dieser Welt noch besitzt. Doch wie soll sie es schaffen, je wieder mit Ryder auf einer Bühne zu stehen, ohne dabei ihr Herz erneut aufs Spiel zu setzen und ihr größtes Geheimnis zu enthüllen?

  Für die Sterne, die trotz der Dunkelheit weiterscheinen.

  Verblasst niemals.

  WO VERSTECKT SICH FELICITY WILDE

  TNZ EXCLUSIVE

  10. Dezember 2018

  LOS ANGELES – Zwei Monate sind vergangen, seit Wildwood, Amerikas neue Lieblingsband aus Nashville, ihr Debütalbum veröffentlichte, das sofort die Charts stürmte und sich seitdem über zwei Millionen Mal verkauft hat.

  Während ihre Bandkollegen – Ryder Woods, Lincoln Travers und Aiden Hill – regelmäßig von Paparazzi aufgestöbert wurden, scheint Wildwoods Leadsängerin von der Bildfläche verschwunden zu sein. Zuletzt wurde sie Anfang September auf der Präsentationsparty gesehen. Seitdem hat Wilde an keiner weiteren Presseveranstaltung mehr teilgenommen, um das Album, das mit Doppel-Platin ausgezeichnet wurde, zu promoten.

  Insidern zufolge liegen die Pläne für die mit Spannung erwartete Welttournee von Wildwood derzeit auf Eis.

  Route 66 Records war hierzu zu keiner Stellungnahme bereit.

  SKANDALUMWITTERTER

  WILDWOOD-STAR WEGEN TRUNKENHEIT

  AM STEUER VERHAFTET

  L. A. Chronicle

  1. Januar 2019

  LOS ANGELES – Ryder Woods, Frontmann der Kultband Wildwood, wurde nach einem Autounfall in der Silvesternacht von der Polizei in Gewahrsam genommen, nachdem sein Wagen mit einem Telefonmast in der Innenstadt kollidierte, was einen Stromausfall in mehreren Häuserblocks zur Folge hatte. Woods wurde leicht verletzt und in der Notaufnahme des Los Angeles County behandelt, bevor man ihn wegen rücksichtslosen Fahrens, Trunkenheit am Steuer und Zerstörung öffentlichen Eigentums in Untersuchungshaft nahm.

  Dies ist das dritte Vergehen des Musikers innerhalb von sechs Monaten, nachdem er letzten Herbst wegen Kokainbesitzes vor dem Viper Room in West Hollywood und am Weihnachtsabend wegen Trunkenheit in der Öffentlichkeit festgenommen wurde. In beiden Fällen kam es nicht zu einer offiziellen Anklage. Nun soll er am Montagmorgen vor Gericht erscheinen.

  Woods, der ursprünglich aus Nashville stammt, steht noch nicht allzu lange im Rampenlicht, machte sich nach dem Erfolg des Debütalbums seiner Band aber schnell einen Namen. Aktuellen Schätzungen zufolge hat es sich im Inland über drei Millionen und im Ausland etwa eine Million Mal verkauft.

  Zwar wurde von offizieller Seite hierzu noch keine Stellung bezogen, doch Fans spekulieren, dass der Absturz des Sängers durch das plötzliche Abtauchen seiner Gesangspartnerin – und angeblichen Freundin – Felicity Wilde ausgelöst wurde. Bislang wurden keine offiziellen Pläne für eine Tournee verkündet. Auch gibt es keine Hinweise auf ein weiteres Album der Band.

  Fortsetzung folgt.

  LESERKOMMENTARE:

  EMMA M.: Hast du das gesehen, @MaxineL? Ryder ist total neben der Spur.

  MAXINE L.: Ich weiß, @EmmaM. Das ist SO traurig … Denkst du, ich sollte anbieten, ihn zu retten?;) Jetzt, da Felicity nicht mehr da ist …

  TORI E.: Felicity ist so ein Miststück. Wie konnte sie Ryder nur einfach so verlassen? #Felicitysucks

  TAMMY Q.: OMG! Habt ihr die neuesten Bilder von ihm gesehen? Er sieht furchtbar aus!

  CANDY C.: Du hast recht, @TammyQ, er sieht schlimm aus … Ich würde ihn aber trotzdem nicht von der Bettkante stoßen.

  [MEHR KOMMENTARE LADEN]

  PRESSEERKLÄRUNG

  Route 66 Records

  25. September 2019

  Dies dient als offizielle Bekanntmachung, dass der Aufenthaltsort von FELICITY WILDE, vormals wohnhaft in Nashville und Los Angeles, ausfindig gemacht werden soll.

  Gegen sie wurden gerichtliche Schritte eingeleitet.

  Wenn Sie irgendwelche Informationen über ihren Verbleib haben, kontaktieren Sie bitte das Büro von FRANCESCA FOSTER bei Route 66 Records.

  TOD EINER LEGENDE: FANS TRAUERN UM COUNTRYSTAR BETHANY HAYES

  Nachruf

  14. Juni 2020

  NASHVILLE – Die Sängerin Bethany Hayes aus Nashville verstarb am vergangenen Sonntag im Alter von zweiundneunzig Jahren. Hayes, bestens bekannt für Hits wie »Stay by My Side« und »Cry Me a River«, war zweimalige Grammy-Gewinnerin und Mitglied der Country Music Hall of Fame. Nach ihrem kometenhaften Aufstieg in den 1960ern erfreute sich Hayes einer langen Karriere und produzierte bis weit in ihre Siebziger hinein ausgesprochen erfolgreiche Schallplatten. Sie hinterlässt zwei Töchter, zwei Enkelinnen und Millionen Fans weltweit.

  Hayes’ musikalisches Erbe lebt in ihrer Enkelin Felicity Wilde weiter, der ehemaligen Leadsängerin der bekannten Band Wildwood. Vor zwei Jahren gab Wilde ihr Debüt mit einer Duettversion einer Liebesballade ihrer Großmutter: »Faded«, die sie zusammen mit Ryder Woods aufnahm. Die von der Kritik gefeierte Coverversion beherrschte monatelang die Charts und brachte Hayes’ Musik einer ganz neuen Generation von Fans näher. So wurdem dem unleugbaren Talent dieser Ausnahmekünstlerin ein neues Denkmal gesetzt.

  Ihre Angehörigen bitten um Wahrung der Privatsphäre, um den Verlust zu betrauern. Anstelle von Blumen spenden Sie bitte an eine Wohltätigkeitsorganisation Ihrer Wahl.

  Eine Trauerfei
er im engsten Familienkreis wird nächste Woche in Nashville abgehalten werden.

  1. KAPITEL

  Felicity

  Mit trockenen Augen und leerem Herzen sehe ich zu, wie sie den Sarg in die Erde hinunterlassen. Ich habe all meine Tränen bereits letzte Woche vergossen, als ich vom Tod meiner Großmutter erfuhr – ich habe so viel und so lange geweint, dass ich das Gefühl hatte, dass nicht nur meine geschwollenen roten Augen irgendwann ausgetrocknet waren, sondern auch meine Seele, als die Tränen schließlich versiegten.

  Ich mache einen Schritt nach vorn und Schmerz rauscht durch meinen Körper – von meinen verkrampften Zehen bis in mein gepeinigtes Herz. Die offenen schwarzen Pumps an meinen Füßen sind eine halbe Nummer zu klein, aber es sind die einzigen, die ich im Schrank hatte.

  Schwarz ist nie wirklich meine Farbe gewesen.

  Ich beuge mich vor und greife mir eine Handvoll Erde von dem kleinen Haufen neben dem Grab. Ich mache mir nicht die Mühe, die Schaufel zu benutzen. Die Erde fühlt sich in meiner Handfläche körnig und kalt an, während ich am Rand des perfekt ausgehobenen Lochs stehe und zwei Meter in die Tiefe starre, wo das einzige Mitglied meiner Familie liegt, dem ich je etwas bedeutet habe.

  »Leb wohl, Oma«, flüstere ich, und meine Stimme bricht vor Trauer.

  Ich werfe die Erde auf ihren Sarg und verunstalte damit sofort die glänzende, weiß lackierte Oberfläche. Obwohl ich dachte, dass ich nicht mehr weinen könnte, rinnt eine einzelne Träne über meine rechte Wange und sammelt sich in meinem Mundwinkel. Meine Lippen sind knallrot geschminkt. Für eine Beerdigung mag das vielleicht ein bisschen zu auffällig sein, aber es war Omas Erkennungsmerkmal. Irgendwo da oben lächelt sie anerkennend.

  Nichts erscheint mehr so schlimm, wenn man erst mal eine frische Schicht Lippenstift aufgelegt hat, Schätzchen.

  Ich nicke dem Bestatter dankend zu, drehe mich um und mache mich auf den Weg zu dem unauffälligen Mietwagen, den ich mir heute Morgen am Flughafen ausgesucht habe. Nun, da ich meiner Großmutter die letzte Ehre erwiesen habe, will ich nur noch weg von hier. In den Schatten lauern zu viele Geister, die mich bedrängen – und ich rede nicht von den toten Bewohnern von Nashville unter meinen Füßen.

  Ich habe die Arme fest um meinen Körper geschlungen, als könnte ich auf diese Weise meine Trauer in mir halten, während ich in Richtung des staubigen Kieswegs trotte. Die warme Juniluft, die ich stoßartig einatme, klebt schwer in meiner Lunge. Die Absätze meiner Schuhe versinken bei jedem Schritt im Gras und hinterlassen eine Spur aus Löchern. Ich mache mir nicht die Mühe, mich umzusehen – hier ist sonst niemand. Nicht mehr.

  Ich habe extra gewartet, bis auch die letzten Nachzügler verschwunden sind, bevor ich die Sicherheit des Autos verlassen habe. Ein frischer Hundertdollarschein reichte aus, um den Bestatter davon zu überzeugen, seine Arbeit lange genug hinauszuzögern, um mir die Gelegenheit zu geben, mich von meiner Großmutter zu verabschieden.

  Es fühlte sich feige und falsch an – ihre eigene Enkelin versteckte sich im Auto, während vollkommen Fremde an der Zeremonie teilnahmen –, aber ich hatte keine andere Wahl. Wenn ich mich bemerkbar gemacht hätte, wären die sensationslüsternen Paparazzi, die am Haupttor des Friedhofs herumlungerten, zweifellos vollkommen ausgerastet, weil sie nach all der Zeit unbedingt ein Foto von Felicity Wilde in freier Wildbahn hätten schießen wollen. Ich kann die Schlagzeilen förmlich vor mir sehen.

  VERMISSTE SÄNGERIN AUF BEERDIGUNG IHRER KÜRZLICH VERSTORBENEN GROSSMUTTER GESICHTET! WO IST SIE DIE GANZE ZEIT UNTERGETAUCHT – UND WARUM IN ALLER WELT HAT SIE SICH DIE HAARE BLOND GEFÄRBT? LESEN SIE DIE GANZE GESCHICHTE AUF SEITE SECHS!

  Ich schüttle den Kopf und seufze tief beim Gedanken an den Mediensturm, dem ich knapp entkommen bin. Die spärliche Anonymität, die ich mir in den vergangenen zwei Jahren erarbeitet habe, ist gefährlich dünn. Sie hätte mir komplett durch die Finger gleiten können, wenn mich jemand hinter den dunkel getönten Scheiben meiner Limousine oder an den Sicherheitskontrollen am Flughafen erkannt hätte.

  Gott segne die Sicherheitsbeamtin, die mit weit aufgerissenen Augen den Namen auf meinem Ausweis las, mich aber ohne Aufhebens passieren ließ. Sie hätte problemlos einen Mob auf den Plan rufen können. Stattdessen legte sie mir gegenüber Mitgefühl an den Tag.

  Ich war ein großer Fan von Bethany Hayes. Mein aufrichtiges Beileid, Miss Wilde. Gehen Sie weiter.

  Es ist zwei Jahre her, aber die Geschichte meines Verschwindens aus dem Blickfeld der Öffentlichkeit macht immer noch regelmäßig die Runde und taucht in Blogs über Verschwörungstheorien und Fanforen auf. Nach wie vor bin ich jedes Mal überrumpelt, wenn ich sehe, wie mein Gesicht in einer der Boulevardsendungen auftaucht, die auf den Fernsehbildschirmen in dem Café laufen, in dem ich mir morgens meinen Kaffee hole. Das Gleiche gilt für die Titelseiten der Klatschpresse, obwohl ich mir angewöhnt habe, nicht zu genau hinzusehen, wenn ich im Lebensmittelgeschäft an der Kasse anstehe.

  FELICITY WILDE IN MELBOURNE GESICHTET … MIT BABY UND EHEMANN!

  FELICITY WILDE UND LINCOLN TRAVERS: DIE AFFÄRE, WEGEN DER SICH DIE BAND AUFLÖSTE

  FELICITY WILDE UND RYDER WOODS: WIEDERVERSÖHNUNG WÄHREND GEHEIMER REISE NACH BALI … DIE GANZEN HEISSEN DETAILS AUF SEITE ZWÖLF

  Ich frage mich, wer sich all diese Geschichten ausdenkt – Geschichten, die einfach so aus der Luft gegriffen sind und in Artikel verwandelt werden, die auf keinerlei Tatsachen beruhen. Sie enthalten nie auch nur ein Körnchen Wahrheit. Andererseits bezweifle ich, dass diese Klatschreporter meine wahre Geschichte erzählen würden, selbst wenn sie ihnen bekannt wäre. Mit dem, was mir wirklich passiert ist, würde man nicht halb so viele Schlagzeilen machen wie mit einer geheimen Liebesaffäre oder einem romantisch-kitschigen Techtelmechtel im Südpazifik.

  Aber die Tatsachen sind nie so faszinierend oder dramatisch wie die erfundenen Stories, die sie auf ihren Titelseiten ankündigen und neben überholten Fotos von mir drucken. Und diese Frau auf den Titelseiten, die mit dem langen dunklen Zopf und diesen Augen voller Hoffnung, die auf den Mann an ihrer Seite gerichtet sind, als wäre er derjenige, um den sich ihre ganze Welt dreht …

  Sie könnte ebenso gut eine Fremde sein.

  Denn mittlerweile lautet mein Name Joy Winters.

  Diese ruhige blonde Frau, die am Stadtrand wohnt.

  Sie hält sich meistens für sich. Man sieht sie nie lächeln.

  Unterzutauchen ist schwieriger, als man denken sollte, vor allem mit einem Namen, den jeder im Land kennt, und mit einem Album, das vermutlich jeder in seiner iTunes-Bibliothek hat. Als ich Los Angeles hinter mir ließ, konnte ich mir nicht einfach einen Fleck auf der Landkarte aussuchen und mir irgendwo anders eine neue Existenz aufbauen. Zuerst musste ich meine Identität auslöschen. Ich musste jemand anders werden. Jemand, den man nicht erkennen würde.

  Zwei Jahre unter dem Radar und außerhalb des Rampenlichts.

  Zwei Jahre, in denen ich den Kopf eingezogen und den Blick abgewendet habe.

  Zwei Jahre, in denen ich mir immer wieder die Haare blond gefärbt und braune Kontaktlinsen getragen habe.

  Zwei Jahre, in denen ich Joy gewesen bin, aber keinerlei Freude verspürt habe.

  Ich nehme die Zeit wie ein Gefangener im Todestrakt wahr – alle noch verbliebenen Berufungen sind ausgelaufen, jegliche Hoffnung auf Strafmilderung wurde ausgelöscht. Ich werde nicht wegen guter Führung früher entlassen werden. Am Ende dieses Tunnels gibt es kein Licht. Ich sitze eine lebenslange Gefängnisstrafe ab. Vielleicht ist es eine, die ich selbst gewählt habe, aber das macht es nicht leichter.

  Los Angeles zu verlassen war schwer genug. Von der Bildfläche verschwunden zu bleiben ist sehr viel schwieriger gewesen, als ich es mir je hätte vorstellen können. Mein neues Leben, das Leben, das ich mir so weit wie möglich von den Lichtern Hollywoods entfernt aufgebaut habe, ohne internationale Grenzen oder gewaltige Ozeane zu überqueren, ist weder glamourös noch aufregend. Niemand bittet mich um ein Autogramm oder ruft auf der Straße meinen Namen. In den Büschen vor meinem Haus v
erstecken sich keine Paparazzi und niemand verfolgt mich, um heimlich Fotos zu schießen, wenn ich meinen morgendlichen Spaziergang zum Strand mache und meine Füße während der wenigen warmen Sommermonate, die Neuengland erlebt, in das kühle Wasser des Atlantiks tauche.

  In meinem Herzen ist keine Musik. In meinem Kopf sind keine Texte. In meiner Seele regt sich keine Liebe.

  Ich wache auf. Ich atme. Ich gehe schlafen.

  Ich bin der Geist einer Frau.

  Ich führe kein richtiges Leben – ich existiere nur. Und doch ist diese Existenz als ein Niemand immer noch weniger erschreckend als meine Rückkehr nach Nashville. Ich habe mich so lange in den Schatten versteckt, dass mir die Welt vor meinen Augen blendend grell erscheint. Ich gehe schneller, als ich mich der Reihe aus hoch aufragenden Eichen nähere, neben der ich mein Auto abgestellt habe. Ich will dringend in mein kleines Haus an der Küste von Cape Cod zurück, wo die Erinnerungen nicht so heftig an mir zerren. Ich kann hier nicht sein, ich kann nicht in dieser Stadt sein, ohne an …

  Ihn zu denken.

  Ich lasse nicht zu, dass ich seinen Namen ausspreche. Ich lasse nicht zu, dass ich mich an seine raue Stimme oder seine kantigen Gesichtszüge oder das Gefühl seiner Hände auf meiner Haut erinnere. Und dennoch … ist er überall. Hinter jeder Kurve, in der Luft, mit der ich meine schmerzende Lunge fülle. Auch nach zwei Jahren hat der Schmerz in meiner Brust nicht nachgelassen. Auch nach zwei Jahren, in denen ich seinen Namen verflucht, ihn aus meinen Gedanken verdrängt und mein Herz zusammen mit meinen Erinnerungen weggesperrt habe … ist er immer noch da. Sein Name liegt mir auf den Lippen wie der Text eines Lieds, das ich nicht aus dem Kopf bekomme.

  Er ist nicht zur Beerdigung gekommen.

  Nicht dass ich das erwartet hätte – er ist meiner Großmutter nur einmal begegnet, und das ist Jahre her. Das war lange bevor alles den Bach runterging. Lange bevor die Sache mit uns zerbrach. Trotzdem suchte ich die Menge vorhin ein wenig zu intensiv nach ihm ab, während ich aus meinem Mietwagen mit den getönten Scheiben heraus zusah, wie sich der Zug aus Trauernden einen Weg über den Friedhof bahnte.